Von Sahnetorte und Löwensavanne
Vier Mal hatte Susanne Mücke ein Brot für mich gebacken, bis ich es endlich genießen durfte und erfuhr, wie leichter Genuss mit harter Ökonomie, wie temporeiches Marketingleben mit Slow Food zusammengehen.
Von Susan Künzel
Dem Urgeschmack auf der Spur
Der Heizungswasserkessel explodierte und schwarze Brühe versaute den Tag. Der Monteur blieb aus – somit unser Termin auch. Zur nächsten Verabredung explodierte allerdings mein Terminkalender, worauf explosiv aufwühlender Husten folgte. Um die Liste von Unglaublichkeiten zu vervollständigen, brach das Wasserrohr im Spitzboden überm Büro. Und jedes Mal war ein Brot gebacken worden.
Im vierten Anlauf empfängt mich Susanne Mücke zu Hause, in zwei idyllisch gelegenen Doppelhaushälften, bei vollwertig kernigem Brot – endlich. Dazu hat sie camembertigen und tomatigen Aufstrich vorbereitet, Orangen ausgepresst. Ein riesiger Küchentresen steht im Raum, viel Holz, viel Platz ringsum. Von dem Brot hatte sie mir zur Leipziger Spezialitätenbörse erzählt, die Aufstriche, Weine, Käse und anderes Feines und Faires aus der Region zur Verkostung bot. Die Brotexpertin am Stand des Slow Food e.V. spannte schnell einen Bogen von Getreide und Gesundheit zu Zeit und Achtsamkeit, zu Kindern und Bedürfnissen. Ich war neugierig geworden.
Die Lehre von der Ernährung
Susanne Mücke ist Diplom-Oecotrophologin. Anfang der 80er-Jahre hatte sie den noch recht jungen Studiengang der Haushalts- und Ernährungswissenschaften gewählt. „Damals war das Wissen um die Vorgänge bei der Ernährung gering und das Interesse groß.“ Denn durch die Fresswelle in der Nachkriegszeit breitete sich gütlich Übergewicht aus. Als folgend Krankheiten wie Rheuma und Diabetes zu einem gewichtigen Thema wurden und das Gesundheitswesen immer höhere Kosten zu stemmen hatte, begann man, die Zusammenhänge zu erforschen. Ernährung wurde ein Berufszweig. Susanne hatte damals weniger Übergewichtsprobleme, als vielmehr Entwicklungshilfe im Blick. Breit angelegtes Wissen war ihr wichtig, um Schwerpunkte später setzen zu können.
Ein Ernährungswissenschaftler weiß um naturwissenschaftliche, medizinische und auch ökonomische Aspekte. Im Studium in Gießen hatte Susanne Einblick bekommen – in Leichen – und erfahren, wie eine verfettete Leber, ein krebskranker Darm, eine nicht mehr funktionierende Bauchspeicheldrüse aussieht. Sie hat den Nährwert eines Hamburgers bestimmt, Pflanzen gezüchtet auf Versuchsgütern, Kantinenhaushalte gerechnet, den pH-Wert von Sterilmilch (die ist also keimfrei, auch nahezu vitaminfrei, dafür sechs Monate oder länger haltbar) getestet und verkosten müssen, vor allem aber gesund gegessen und Genuss einordnen gelernt. Sie saß in Vorlesungen mit angehenden Weinbauern, Informatikern, Ärzten, Lehrern, Forschern.
Der genussvolle Weg
Mehr der Zukunft der Genüsse als der Vergangenheit kranker Organe zugewandt, strebte die junge Frau zum Marketing. Dr. Oetker stellte die frisch Diplomierte ein und befähigte sie, den Markt mit begehrten Pizzen und Sahnetorten zu bereichern. Sie lernte alle Abteilungen kennen, nahm die Karriereleiter in schnellen Schritten vom Trainee bis zur Marketingleiterin. Freilich hatte sie etwas Bauchweh ob der vielen künstlichen Aromen und des größeren Augenmerks auf den Aggregatszustand der Produkte als auf deren Vitamingehalt. Und: „Welche Wege hat wohl der Rhabarber zurückgelegt für meine im Winter gelaunchte Rhabarbertorte?“ Doch Genussliebe, Wissensdurst und die Macht der Möglichkeiten überdeckten die kleinen Bedenken. Zudem beflügelten damals, Ende der 80er, ohnehin die Triumphe der Chemie den Zeitgeist. Für Susanne folgten auf die Ära der Pizzen und Sahnetorten Jahre mit Schokolade und Kakao, später Honig. Dann zwei Kinder und ein Umzug nach Leipzig.
Kein Vanillepuddingaroma
Nach dem Einleben dort und mit nicht mehr ganz so kleinen Kindern gewann sie 1998 das Rennen um die Marketingstelle im Zoo. Susannes wortwörtlich ausgezeichnete Marketingerfahrungen in der Lebensmittelindustrie, verbunden mit dem naturwissenschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Wissen, schienen dem Zoo-Gremium hilfreicher als mancher Fußabdruck auf Werbebühnen der Agenturwelt.
Susanne Mücke war bestens gewappnet, jedoch nicht gegen alles: Vor allem der damals noch extrem intensive ’Zoo-Geruch’ machte ihr am Anfang zu schaffen, „so vom Vanillepuddingaroma kommend“. Doch sie erzählt begeistert von ihren ersten Werbemitteln: „Flyer für die Besucher, über die Tiere und über die Zukunftspläne des Zoos, und nicht mehr nur Füttern-verboten-Schilder.“ Und vom Aufbau des Marketings: „Ich musste manche der Kuratoren immer wieder davon überzeugen, dass es Besucher braucht, die das Geld bringen, um Tiere artgerecht halten zu können. Die wollten doch eigentlich nur ungestört Tiere vorm Aussterben retten. Doch nun mussten sie auch noch Botschafter dafür werden.“ Susanne schildert, wie sie den Namen Pongoland kreierte –„Namen sind meins“ – und dafür in der Ethnologie statt Verbrauchergefühlen fahndete; wie die Marketingabteilung wuchs und die Besucherzahlen; wie sie am Konzept vom Zoo der Zukunft feilte; wie die Zoo-TV-Kooperationen „Elefant, Tiger & Co.“ und „Tierärztin Dr. Mertens“ entstanden. Vergleichbar mit der engagierten und unkonventionellen Filmfigur Susanne Mertens ging auch Susanne Mücke in ihrer Arbeit auf, Ähnlichkeiten rein zufällig.
Konzept Genuss
Susannes Kinder wurden vom Au-pair betreut, ihr Mann arbeitete vor allem auswärts. Doch das dritte Kind und die beruflichen Anforderungen vertrugen sich nicht. Sie plante Gondwana noch mit, schaute es sich dann aber als Besucherin an.
Nach zehn Jahren mit irre viel Arbeit näherte sie sich der Entschleunigung. Nicht, dass das ihr vorrangiges Ziel gewesen wäre, aber es öffnete doch ihren Blick auf das Leben und ihr Umfeld. Sie kauft im Bioladen ein paar Straßen weiter ein, gibt dem Verkäufer Tipps für Produkte und für Kundenpflege. Sie bietet eine AG Kochen in der Grundschule der Tochter an. Sie stellt sich für den Slow Food e.V. auf Veranstaltungen. Sie will Waffeln backen mit Flüchtlingen. Sie überdenkt, was sie noch so tun könnte „als kreative Konzeptionstante“, wie sie sich selbst beschreibt. Doch Beschäftigungsanstöße erhält sie auch von außen zuhauf: Der Berufsverband Oecotrophologie fragt regelmäßig an für Weiterbildungsseminare zum Thema Marketing; Privatleute erkundigen sich zu individuellem Foodcoaching oder weil sie etwas gelesen haben über Glukose, Fruktose und Laktose. Das Kabarett Akademixer, eine Verbraucherzentrale oder auch Werbeagenturen beauftragen die Marketingfrau mit konzeptionellen oder strategischen Arbeiten, Unternehmen buchen die Ernährungsberaterin für betriebliche Gesundheitsvorsorge. Sie selbst bildet sich weiter, um auf dem Laufenden zu bleiben und ihre Krankenkassenzulassung im Bereich Prävention zu behalten. Sie freut sich auf ihre Ausbildung zum Genusstrainer im kommenden April.
Susanne Mücke ist nicht gerade eine Slow-Life-Naturbegabte und möchte gewiss auch nicht als Aushängeschild dafür herhalten. Jedoch lebt sie jetzt ein achtsames Maß zwischen gesunder, genüsslicher Ernährung für ihre Familie und für Ratsuchende, einigen größeren Strategieprojekten im Jahr und ein paar Seminaren oder Vorträgen zu ihren vielfältigen Lieblingsthemen. Und was soll noch kommen? Susanne Mücke lacht: „Vielleicht eine Bio-Pension. Da kann ich Marketing, Ernährung und Genuss vereinen. Vielleicht auch was anderes.“ Falls doch die Pension, dann gewiss ohne explodierenden Wasserkessel, dafür aber mit täglich frisch gebackenem, kernigem Brot.
Lektorat: Susanne Wallbaum
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